„Schutzbrief“ soll Mädchen vor Genitalverstümmelung bewahren

Berlin – Die Bundesregierung will mit einem „Schutzbrief“ dabei helfen, Mädchen vor Genitalverstümmelung zu bewahren.

Das von mehreren Bundesministern unterzeichnete Dokument mit rechtlichen Hinweisen und Hilfsangeboten sei eine „klare Ansage zum mitnehmen mit dem Bundesadler vorne drauf“, sagte Bun­des­fa­mi­lien­mi­nis­terin Franziska Giffey (SPD) bei der Vorstellung heute in Berlin.

Weibliche Genitalverstümmelung sei eine „archaische Straftat“ und ein Thema, dem „wir uns auch in Deutschland stellen müssen“. Der „Schutzbrief“ im Format eines Reisepasses weist darauf hin, dass weib­liche Genitalverstümmelung in Deutschland strafbar ist – auch bei einer Durchführung im Ausland.

Eltern, die ihre Tochter nicht davor beschützen, machen sich ebenfalls strafbar. Die Teilnahme an einer solchen Tat kann zudem aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. Der „Schutzbrief“ verdeutlicht zu­dem die physischen und psychischen Folgen für die Betroffenen und verweist auf verschiedene Hilfsan­gebote.

Auf dem dunkelblauen Deckblatt prangt der Bundesadler unter der Überschrift „Die Bundesregierung“. Das Dokument trägt die Unterschriften von Giffey sowie von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, Bundesaußenminister Heiko Maas (beide SPD), Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Bundes­gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Mädchen, denen Genitalverstümmelung droht, sollen den „Schutzbrief“ bei sich tragen, insbesondere bei Reisen in ihre Herkunftsländer. Zudem soll das Dokument als Handreichung bei Beratungsgesprächen dienen.

Laut Giffey kann der Schutzbrief auf Internetseiten der Bundesregierung heruntergeladen werden und soll zudem in gedruckter Forme bei Beratungsstellen, Hilfsorganisationen und Ärzten ausliegen. Die Mi­nisterin rief die Länder auch, das Dokument auch an Schulen zur Verfügung zu stellen. Der „Schutzbrief“ soll unter anderem auch auf Englisch, Französisch und in verschiedenen afrikanischen und asiatischen Sprachen zur Verfügung gestellt werden.

Die Vorsitzende des gegen weibliche Genitalverstümmelung engagierten Vereins Lessan, Gwladys Awo, lobte den „Schutzbrief“ bei der Pressekonferenz mit Giffey. Ein solches Dokument sei „extrem wichtig“, da gefährdete Mädchen oder deren Eltern damit Verwandten beweisen könnten, dass weibliche Genitalver­stümmelung in Deutschland verboten und strafbar ist.

„Viele Mädchen brauchen das, viele Mütter brauchen das“, sagte Awo. Schätzungen es Bundesfamilien­mi­nisteriums zufolge leben in Deutschland rund 68.000 Frauen, die eine Genitalverstümmelung erlitten haben. Tausende Mädchen gelten als gefährdet.

Laut der Entwicklungsorganisation Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) hat die Corona­pandemie das Problem der weiblichen Genitalverstümmelung weltweit deutlich verschlimmert. Berichte aus Ostaf­rika zeig­ten, dass Lockdown und Schulschließungen dazu führten, dass viele Mädchen zu Hause blieben und da­mit der Genitalverstümmelung in ihren Gemeinschaften ausgesetzt seien, erklärte das Hilfswerk heute in Hannover.

„Weltweit wächst der Widerstand unter jungen Frauen und Männern gegen diese Praktik, dennoch steigen die Zahlen weiter“, so der DSW-Geschäftsführer Jan Kreutzberg. „Gerade in Zeiten von COVID-19 müssen noch sehr viel größere Anstrengungen zur Abschaffung dieser Praxis unternommen werden.“

Insbesondere in den am meisten betroffenen Ländern müsse offen über die Auswirkungen der oft rituellen Praktiken gesprochen und Aufklärung geleistet werden. „Nur wenn der Mantel des Schweigens durch­brochen wird, können patriarchalische Strukturen aufgebrochen werden“, betonte Kreutzberg.

Nach Angaben des aktuellen Weltbevölkerungsberichtes des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) sind weltweit über 200 Millionen Frauen von Genitalverstümmelung betroffen. Die Zahl könne demnach von rund 4,1 Millionen jährlicher Fälle in 2020 auf bis zu 4,6 Millionen in 2030 ansteigen. © kna/aerzteblatt.de

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